DIALOGISCH GEDACHT

Veröffentlicht 9/2016

Meine Osterweiterung der Kunst folgt der Kalligrafie. Doch nicht der Schönschrift, WIE KALLIGRAFIE IM WESTEN ÜBERSETZT WIRD. Der Schönheit des Schreibens: Dem Rhythmus. Der GestIK. Der INTUITION Schrift – vor der Schrift. Die sich dialogisch zwischen Körper und Geist BILDET, nicht logisch zwischen GEIST und Ding, wie die kognitive Schrift.

Ein einfacher Strich, Punkt, Klecks, Kritzel kann Geschichten erzählen. Kann wie Buchstaben sich zum Bild verdichten, mit eigener Poesie. Weil das Leben eine „Körper-Geist-Gestalt“ hat, die kein Ding“ ist, weder der Plan eines Gottes, noch der Algorithmus einer DNA oder die Vorbestimmung eines Karmas. Sie entsteht spontan, organisch, phänomenal. Nach der „VieleWeltenTheorie“ der Quantenphysik vollzieht sich das Leben in diversen existentiellen Schichten, Welten oder Sphären, die letztlich ein gesetzmäßiges Ganzes bilden. „Gott würfelt nicht“, lautet der berühmte Ausspruch von Einstein. Auch ohne Gott ist die Existenz nie „zusammengewürfelt“. Alles ist mit allem gesetzmäßig verbunden. Allein die Bindung erscheint aus der Sicht nur einer Welt als Zufall oder Plan. Was beides nicht stimmt. Die Bindungen entstehen spontan, sind sich-selbst-bildende, gesetzmäßige Phänomene

Aus der Perspektive des Betroffenen ist das „VieleWeltenPhänomen“ ein vegetatives Nichts. „Vegetativ“, weil wir nervlich mit den „vielen Welten“ verbunden sind, eine Ahnung haben oder nicht, und „Nichts“, weil wir kognitiv nicht ganzheitlich, nur einseitig denken können. Denn das „Arbeitsgedächtnis“ konzentriert sich nur auf eine Welt. So kommunizieren wir im Spontanen mit Wissen aus Welten, die wir nicht oder noch nicht kennen und deshalb: Transzendenz nennen. Die bereits im Mutterleib „vegetatives Vorwissen“ prägt, das sich „bottom-up“, von unten nach oben, aus dem Hören und Fühlen bildet. Dieses instinktive Vorwissen, besser bekannt als „Intuition“, ist aus der Perspektive des kognitiven Wissens, das postnatal entsteht, nicht zu fassen. Weder mit dem „geistigen Auge“ des Traumes, der „Imagination“, die noch in die Transzendenz hinein „fühlen und hören“ kann. Noch mit dem sehenden Wissen, dem „Intellekt“, der keinen Kontakt zur Transzendenz hat, weil der Verstand den Kontakt zum Ding, zur Außenwelt hält. Noch mit den Möglichkeiten der „künstlichen Intelligenz“, die sich als „das Ding“ ausgibt, das die Transzendenz durch Transparenz ersetzen wird, dabei aber das Gegenteil erreicht: Das allseits überwachte Leben

Von all dem unbehelligt erschafft, ermächtigt und vermehrt sich das Spontane von selbst und ist dabei eine Kraft, die, wie Nietzsche beobachtete, dem Gesetz der Evolution zur Selbstüberwindung folgt und ihr Gegenteil: das Ding hervorbringt. Zunächst als ein verkörpertes, dann als ein geformtes, schließlich veräußertes Wissen: Als reflektiert-abstrakte „Idee“. Als ein „Top-down-Wissen“. Das umgekehrt, vom „Etwas“ ausgehend, von oben nach unten, von außen nach innen, durch Wiederholungen definiert und geordnet, über festgelegte Zeichen, Symbole und Programme an Schulen, Universitäten und Akademien gelehrt, nicht nur Wissen als „Schöpfung“, als „Wissen ist Macht“ behauptet. So als Technik zum „Schöpfer“ einer Welt wird, die Wissen, den einst sphärischen Geist materialisiert. Der sich als „Fortschritt“ sieht und wie ein Pfeil, heute muss man wohl sagen: Einer Rakete gleich eine lineare Entwicklung skizziert, die ihn, so seine Hoffnung, aus der Evolution, dem Gesetz zur Selbstüberwindung, ausklingt. Allein das wird nicht geschehen, der Fortschritt ist längst an die Grenzen seines Wachstums gestoßen und tut gut daran, sich mit seiner Selbstüberwindung, heute heißt es „Nachhaltigkeit“, zu beschäftigen. Weil alles in sich begrenzt ist, kreisförmig zum Ursprung zurückkehrt und kein Pfeil ins Nirgendwo fliegt…

„Als letzter Aberglaube, als trauriges Reststück des Schöpfungsmythos blieb dem westlichen Kulturkreis das Märchen des Schöpfertums“, erklärte Max Ernst bereits 1934 in seinem Manifest „Was ist Surrealismus“. „Es gehört zu den ersten revolutionären Akten des Surrealismus diesen Mythos mit sachlichen Mitteln und in schärfster Form attackiert zu haben, indem er auf die rein passive Rolle des „Autors“ im Mechanismus der poetischen Inspiration mit allem Nachdruck bestand und jede „aktive“ Kontrolle durch Vernunft, Moral oder ästhetische Erwägungen als inspirationswidrig entlarvte“. Leider sind das leere Worte geblieben. Der „Surrealismus“ und der „Dadaismus“ waren Bewegungen gegen eine durchkonstruierte und durchmechanisierte Welt. Sie wehrten sich gegen ein „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ (Lenin), mit dem der Mensch alles überwachen und planen wollte und wandten sich dem zu, was wir nicht kontrollieren können: Dem Traum. So riefen sie die Transzendenz wieder ins Bewusstsein. Sie konstruierten eine „Zwischenwelt“, die „surreal“ – Tagtraum – bleibt und nicht real wird. Der „Schöpfungsmythos“ verschwand in dieser Zeit ganz aus den Naturwissenschaften, weil in der Evolution des Universums, der Erde, des Menschen, der Wissenschaft nirgendwo ein „Schöpfer“, kein Gott begegnete. In der Kunst blieb die „Kunstfigur“ hingegen erhalten, weil die Kunst sie einst – auch zur eigenen Legitimation – erschaffen hat und in der Technik feiert der „Schöpfungsmythos“ gerade wieder mit der „Künstlichen Intelligenz“ eine Renaissance. Weil das kognitive (westliche) Denken den Anspruch hat: Existenz, auch das „Nichts“, noch einmal – als „Ding“ – zu erfinden…

Der Mensch ist nie allein. Er ist geistig gleich in drei Welten oder Hemisphären unterwegs. Entweder spricht das Ich, das Körperempfinden „Ich bin“ mit dem geistigen „also bin ich“, dem „Ich denke“ und findet dabei in einer Dualität, einer „Innen-Außen-Welt“ seine Lokalisierung. Oder das Ich kommuniziert mit dem NichtIch, der „angeborenen Weisheit“, dem „Gewissen“. Das mit dem „Bottom-up-Wissen“, in vergangenen und künftigen, nahen und fernen Welten All-Eins-Sein anstrebt. Oder mit dem Über-Ich, dem „Top-down“, der eigenen „Idee“ und/oder „Leistung“, das im „Elfenbeinturm“ sein Eins-Sein mit dem „Alter Ego“ (dem Vorbild) zelebriert. Das ÜberIch schweigt nie, es kontrolliert alles. Das NichtIch schweigt hingegen immer, es teilt sich „zwischen den Zeilen“ mit. „Der Ton macht (hier) die Musik“. Er verlangt den „Zu-Hörer“ und schlimmer noch: Den „Zu-Seher“. „Schweigen ist (hier) Gold und Reden Silber“. Nur durch „Meditation“: Indem das Geistige eins wird mit der „Gedankenleere“, der „Fuge“ zwischen den Gedanken, ist das Nicht-Ich erfahrbar. In diese Sphäre wollten die Surrealisten mit der „écriture automatique“, dem „automatischen Schreiben“ vordringen und forderten die Künstler dazu auf sich ganz der „angeborenen Weisheit“, dem „Bottom-up-Wissen“ hinzugeben, „von Entdeckungsfahrten ins Unbewusste unverfälschte (durch keine Kontrolle verfärbte) Fundgegenstände („Bilder“) ans Tageslicht zu fördern, deren Verkettung man als irrationale Erkenntnis oder poetische Objektivität bezeichnen kann“ (Max Ernst, ebenda)…

Ein Ankommen am „anderen Ufer“, in der „Gedankenleere“ der Existenz, war dabei nicht vorgesehen. Nur die Künstler, die sich gleichzeitig mit dem „absichtslosen Tun“ oder „Tun ohne Tun“ im Taoismus und ZEN beschäftigten, ahnten etwas von der tatsächlichen Dimension, von einem anderen Bewusstsein. Im fernen Osten trafen sie auf eine „negative Ontologie“ (Lehre vom Sein), die das Sein nicht an ein „Ding“ heftet. Weder an einen Körper, Gegenstand noch Gott. Die das Sein als ein „nicht-identifiziert-Sein“ – als Nichts – in allem voraussetzt. So dass in Buddhas Konzept der reine Geist als „fünfte Dimension“ die Transzendenz bildet. Die alles begrenzt und entgrenzt. Die Götter sind hier „surreal“, sie machen weder den Himmel aus, der ist „reiner Geist“, noch bevölkern sie die Erde, die bedenkt der Mensch. Sie leben in einer „Zwischenwelt“, zu der der „Traum“ Kontakt hält, während die „Intuition“ aus dem „reinen Geist“ spricht. Dieses „Brahman-Atman-Prinzip“, so heißt es in Indien, hat sich in China als „Tao“ und im japanischen ZEN als „Nicht-Ich“ etabliert. So dass die „Gedankenleere“ hier als „Weltinnen“ oder „Weltseele“ verstanden wird. Als ein „Nichts“, das das „Etwas“ – die Welt – wie ein Spiegel aufklärt

Davon hatte die westliche Kunst bei ihren Expeditionen ins Unbewusste keine Ahnung und so hieß es plötzlich: „Kunst ist Kunst ist Kunst“. Die Kunst hatte ihr „Ding“ verloren und war sich selbst begegnet. Doch als etwas Verlorenes, das noch nicht einmal die „vierte Dimension“, die es berührte, erkannte. Bis Einstein hatte im Westen die Realität nur „drei“ – absolut begreifbare Dimensionen: Höhe, Breite, Tiefe. Die „vierte“, nur relativ fassbare Dimension – die „Raum-Zeit“ – war mit Gott erklärt oder für den Atheisten ein „Loch im Himmel“. Im fernen Osten heißt die „Raum-Zeit“: „Raumloser Raum“ oder „Nicht-Sein“, das nicht, wie bei Einstein, in der „Zeit“, also im „Weltraum“ berechnet wurde, das Laotse und Buddha im „Weltinnenraum“, in ihren Meditationen über die „Ewigkeit“, erkannten. „Erkennst du das Da-Sein (Höhe, Breite,Tiefe) als Gewinn, erkenne: Das Nicht-Sein (die Raum-Zeit) macht brauchbar“ (Laotse)…

So ist meine „Viele-Welten-Kalligrafie“ nicht nur ein Sprung vom Ding ins Nichts, um aus dem „Weltinnen“ heraus dem „dialogischen Denken“ zwischen Gedankenleere und Gedanken, zwischen Körper und Geist ein westliches Gesicht zu geben. Ich habe auch den Anspruch den westlichen Kunstbegriff zu erweitern. Mein Idiom ist dabei der „nervöse“ oder „spontane Strich“, den Jackson Pollock vom Gegenstand löste und als eigenständiges Bild etablierte. Er stellte es in den tautologischen Kontext der modernen abstrakten Malerei: „Driping (die Technik, die er anwandte) ist Driping ist Driping“. Ist „Höhe, Breite, Tiefe“. Ein „abstraktes“, weil „nicht kommunizierendes Ding“. So erlangte der nervöse, spontane Strich in der westlichen Kunst als „Gestik“ seine Eigenständigkeit und war damit zugleich etwas anderes als die Geste in der Realität. Über Michaux bis K.O.Götz, vom „Abstrakten Expressionismus“ in den USA über den „Tachismus“ in Frankreich bis zum „Informel“ in Deutschland blieb es dabei. Wobei Michaux die Wende zum „nicht nicht kommunizierenden Kritzel“ in der Hand hatte. Allerdings unter Drogen. Er sah: Ein abstraktes Bild ist zwei. Das gemachte und das assoziierte…

Die moderne „Abstrakte Kunst“ distanzierte sich jedoch vom „Sich-Selbst-Bildenden“, der Assoziation. Sie war aus der Abstraktion des Gegenständlichen hervorgegangen, die mit der Assoziation arbeitete und grenzte sich nun von ihr ab. So war das „abstrakte Bild“ ganz auf die eigene Gesetzmäßigkeit bezogen, tautologisch begründet „Höhe, Breite, Tiefe“ durch sich selbst, ohne dialogischen Bezug zur Wirklichkeit. Konzept. Im „automatischen Schreiben“ gab das Bild sein „Sujet“ und der Künstler seine „Autorenschaft“ auf. Er war nur noch „Koautor“ im „action painting“ oder „Malprozess“, der durch ihn hindurch geschah. Doch wer oder was war jetzt der „Autor“? Das „Es“, der „Trieb“, das „Tier in uns“? Oder der „kontrollierte Zufall“, wie Pollock sagte? Das waren die einzigen nach der westlichen Ästhetik und Psychoanalyse, namentlich nach Freud, möglichen Erklärungen, auf die sich Breton auch in seiner Begründung für die Freisetzung des Unbewussten berief. Dem fertigen Bild gegenüber spielten sie aber keine Rolle mehr. Mit der tautologischen Begründung „Kunst ist Kunst ist Kunst“ wurde das Dilemma gelöst: Postum war wieder das Genie, der Künstler, das Über-Ich, dessen Konzept, der „Autor“. Weil der westliche Kunstbegriff ohne „Schöpfer“ und „geistiges Eigentum“ nicht funktioniert. Er kann nicht zulassen, dass der Geist allen, also niemand gehört. Weil er von einem Etwas ausgeht und nicht von einem Nichts, so Wissen als Macht, als „Herrschaftswissen“ behauptet und hierarchisiert. So wird in der westlichen Logik das „Top-down-Wissen“ des Menschen als Zivilisation über das „Bottom-up-Wissen“ der Natur gestellt, das die Perspektive der „Hochkultur“ als primitiv ignoriert. Hier beginnt die Umverteilung, nicht erst beim Geld. Gehört der Geist endlich allen, ist der „reine Geist“ das All(es), gibt es Autoren und Koautoren, Künstler und Zuschauer, die mit dem Geist arbeiten und sich ihm hingegeben. Dem, was niemand gehört, keinem „Gott, Kaiser noch Tribun“, keinem Erleuchteten, Weisen, Propheten oder Entwickler im silicon valley, weil das Bild frei im Geist erscheint…

Mein NICHTNICHTBILD – nicht gegenständlich, nicht abstrakt, nicht nichts – macht endlich auch in der Kunst die „vierte Dimension“ – die „Raum-Zeit“ – erfahrbar. Die theoretische Physik behauptet: Die „Raum-Zeit“ entziehe sich der menschlichen Vorstellungskraft, weil wir uns entweder den Raum oder die Zeit, nicht beides zusammen vorstellen können. Das stimmt für die Vernunft oder den Verstand. Doch der Geist ist mehr. Er ist, wie die Viele-Welten-Kalligrafie zeigt auch eine grenzüberschreitende Ekstase. So ist die „Raum-Zeit“ im „Nicht-Ich“ erfahrbar. Wenn die tautologischen, theologischen, ideologischen, selbst teleologischen Begründungen, nicht nur der Kunst – des kognitiven Denkens – losgelassen und durch ein dialogisches Denken und rhetorisches Konzept ersetzt werden. Das „Sich-Selbst-Bewegende“, die „Urkraft“ der Existenz, wenn mit Sokrates eine philosophische Begründung erwünscht ist, oder das „absichtslose Tun“, wenn mit Laotse ein technisches Konzept gefordert wird, oder das „Nicht-Ich“, wenn eine spirituelle Dimension aus dem japanischen ZEN erwünscht ist, oder das „Viele-Welten-Phänomen“, wenn mit der Quantenphysik ein holistischer Bildaufbau gesucht wird – ist jetzt der „Autor“. Während das „Ego“ des Künstlers und des Rezipienten lediglich „Diener“, der „Koautor“ ist, durch den hindurch das Bild geschieht. Realität ist augenblicklich, was Beuys noch kategorisch einforderte: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Und „Neurowissenschaftler“. Denn nach der Auffassung des Neurowissenschaftler Semir Zekir ist, „Der Künstler (…) in gewisser Weise ein Neurowissenschaftler, der das Potential und das Fassungsvermögen des Gehirns erforscht, wenn auch mit anderen Mitteln“ („Statement on Neuroesthetics“)…