DAS BILD OHNE AUTOR


Die Kunst erweitern? Nein. Sondern geh mit der Kunst in deine allereigenste Enge. Und setze dich frei.“   (Paul Celan, Der Meridian)


 

Magritte schrieb unter eine von ihm gemalte Pfeife “Ceci n’est pas une pipe”, das ist keine Pfeife und Picasso nannte Kunst „eine Lüge“. Denn Kunst ist der Versuch, Wissen einer Wahrheit zu konstituieren, die vom Wort nicht gewusst werden kann. So fragt Kunst nicht wie Wissenschaft nach wahr oder unwahr, richtig oder falsch. Sie ist bescheidener und zugleich mutiger als sie. Sie hat keine Hypothese und kann ihre Wahrheit nicht verstecken. Sie ist Kunst oder keine Kunst. Wahr in sich für sich liefert sie sich aus. Denn sie weiß, obwohl sie sich selbst absolut erklärt, nichts über das Absolute und nichts über die Wahrheit, außer dass es sie gibt. So ist Kunst wahr und zugleich Lüge, suchen wir die Wahrheit idealistisch oder materialistisch im Ding. Denn mit Kant sind: „Wahrheit oder Schein (…) nicht im Gegenstande, sofern er angeschaut wird, sondern im Urteile über denselben, sofern er gedacht wird.“

Sein und Schein Signifikat (Inhalt) und Signifikant (Ausdruck) sind nicht gleich doch eins. Im Gegensatz zur metaphysischen Welt stehen sie in der aufgeklärten Welt jedoch jedoch in einem paradoxen Verhältnis zu einander. In der jüdisch-christlichen Bibel erschafft Gott die Welt und der Mensch gibt den Dingen den Namen. Bis Adam den Apfel vom Baum der Erkenntnis isst und der Sündenfall Signifikat und Signifikant entzweit. Im Neuen Testament wird der Sündenfall symbolisch durch den Sohn Gottes gesühnt, indem das Wort durch ihn bei Gott und Gott das Wort ist. So irrt der Mensch durchs Leben mit einer Sprache und einem Verstand, der das Detail doch als Teil das Ganze weder überschauen noch erkennen kann. So irrte ich einst mit dem „Roten Morgen“, heute mit dem Pinsel in der Hand auf dem Weg der Imagination mit meinem Leid im Herzen. Schon als Kind konnte ich am Grundwiderspruch des Menschen verzweifeln. Am ganzheitlichen Bild, das wir wahrnehmen, träumen, hoffen, lieben und dem Wort, mit dem wir Wissen als Macht behaupten, obwohl es das Ganze nicht erfasst. Welche symbolische Anrufung sprach da aus meinem Herzen?

Der symbolischen Anrufung „Im Anfang war das Wort“ konnte ich nicht folgen. Ich sah wie Hegel, obwohl ich ihn noch nicht kannte, im Wort eine „Doppelung der Realität“. Das unwesentliche Bewusstsein der Wahrnehmung in Traum und Tagtraum, das Freud „das Unbewusste“ nennt, bekommt durch das ausgesprochene Wort ein wesentliches Bewusstsein, dass es von seiner Geschichte zur Geschichte, laut Hegel zur „Historie“ enteignet. Die Trotzbacke in mir verweigerte sich der Anpassung an die Sprache die mein Umfeld prägte, bis endlich durch meine Begegnung mit Marx aus Hegels Geschichte meine Geschichte wurde. Meine Intuition bekam nun eine historische Mission, die mich bis zum Ende der Geschichte zum Kommunismus führen sollte, mit dem mein Leiden am Grundwiderspruch der Menschheit sich auflöst. Der Irrtum ist inzwischen historisch, doch was da wie falsch gelaufen ist mit den Geschichten und der Geschichte, haben wir gesellschaftlich noch nicht verstanden. Meine Aufklärung hat mich zum Künstler und meine Kunst zum Bild ohne Autor gemacht.

So wechselte ich vom Wort zum Bild, denn im Moment der Doppelung durch das Wort kommt es zum Verlust des ganzheitlichen Sehens. Nicht mit der Doppelung an sich. Denn die Imagination ist auch eine Doppelung, die der Intuition zum Symbol, die dabei im Gegensatz zur Kognition das Ganze nicht aus den Augen verliert. Denn mit dem Wort tritt der Mehrwert in den Sinn. Nicht mehr das Ganze, das Detail ist nun der Gewinn. Als Wissen ist Macht, übernimmt es die Herrschaft. Denn das Detail können wir überschauen, nicht nur überschauen, durch das Überschauen kontrollieren und beherrschen. Während das Ganze der Imagination uns sprachlos zurücklässt. Es bleibt im Verborgenen, lässt sich „nur“ erleben, „nur“ teilen, bleibt „nur“ geheim. Heimat im unwesentlichen Bewusstsein All. Hier zeigt sich die Schwäche der Aufklärung und Demokratie. Sie setzen auf das Wort während Oligarchie und Autokratie das Bild beherrschen. Sie setzen auf Rationalität und Verstand während das Leben Kunst und keine Wissenschaft ist.

So teilt das Wort nicht nur eins in zwei, es verdrängt zugleich als verstandene Form des wesentlichen Bewusstseins den Fluss des unwesentlichen Bewusstseins ins Unbewusste. Das faktische Wissen aus Wort und Zahl übernimmt die Herrschaft über das im Körper weiter aktive Nichtwissen, indem es sich als Ding präsentiert und als Verfassung Welt repräsentiert. Zur Welt kommen heißt nun nicht mehr Präsenz durch den Körper zu erlangen, heißt mit dem Wort sekundäres Wissen zu besitzen. Sodass das unwesentliche Bewusstsein der Lebendigkeit im Reich der Notwendigkeiten schweigt. Beredet schweigt. Denn das Bild vor den Fakten spricht nonverbal wortlos durch Mimik und Gesten stimmt zu oder widerspricht. Während das Wort durch das Bild zum Diskurs gezwungen, ideologisch das verlorene Ganze konstruiert.

Dabei bleibt die „ideologische Anrufung“ durch das Symbol, wie Lacan sie nennt, im Wort verborgen. Im Bild ist sie offensichtlich. Lustvoll zieht sie an, frustriert stößt sie ab. Anders das Wort, es kann, indem es sachlich und rational spricht, von sich behaupten, es sei nicht ideologisch. Obwohl es als Narration eine virtuelle Norm behauptet, die nur ideologisch zu verstehen ist. So spricht der Kapitalismus anders als der Sozialismus der Liberale anders als der Autoritäre, obwohl alle über das Gleiche sprechen. Wir sprechen notwendig ideologisch, weil wir als Teil die Realität in ihrer Ganzheit nicht weder überschauen noch erfassen können und weil wir als Sprechende eine Sprache erlernen, die vor uns bereits gesprochen wurde. So sind wir, ob wir es wollen oder nicht durch Sprache ideologisch Angerufene. Wir ringen um Lösungen und finden Symbole für neue ideologische Anrufungen.

So glaubt der imaginäre Verstand an Gott und der aufgeklärte „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“. So kollektiviert der materialistische Verstand in Gestalt von Marx den Geist. Weil das Verbale das Nonverbale weder soziologisch noch psychologisch Bewusstsein nicht individuell nur vergleichend fassen kann. Mit Kants kategorischen Imperativ wird so das Allgemeine zum Credo des Universellen. Dagegen behauptet der französische Psychoanalytiker und „Antiphilosoph“ Jacques Lacan das Nonverbale als das „große Andere“, nicht nur als Leerstelle in uns, die weder materiell noch ideell zu fassende Leere als das Reale. Weil wir als Teil das Ganze weder intuitiv noch kognitiv fassen können. So versucht die Kognition es symbolisch oder analytisch zu begreifen und hinterlässt dabei das „große Andere“, das Reale als Leere oder Nichtwissen in uns zurück. Als das Unbewusste das gesehen und gewusst sich als das Reale zeigt. So bestimmt nicht das materielle Sein oder eine absolute Idee das Bewusstsein. Es ist die Leere oder Einsamkeit in uns. Das unbewusste Begehren, die Leere zu überwinden.

Ob symbolisch oder analytisch, ob kognitiv oder intuitiv der Verstand des Menschen steht der sich permanent bewegenden Evolution immer nur gegenüber. So ist das, was wir wahrnehmend denkend beweisend verhandeln, nicht das Reale. Es ist eine Illusion. Das Reale bleibt dabei leer. So wissen wir, dass die Wahrnehmung von Tieren unsere um ein Vielfaches überschreitet, dass Pflanzen, Bäume, Pilze miteinander kommunizieren, Tiere Sozialisationen erschaffen. Wir wissen, dass sich unser Wissen von einem Irrtum zum nächsten bewegt. Doch dem Hochmut des Menschen tut das keinen Abbruch. Er trennt weiter seine Kultur von der Natur, seine Intelligenz von den Emotionen und setzt sich mit der KI die Krone der Schöpfung auf. Daran hat die rationale Aufklärung nichts verändert. Sie hat lediglich das Schicksal säkularisiert, die Personalisierung des Jenseits durch die Intelligibilität des Verstandes ersetzt. Durch die Fähigkeit des Menschen, in der sinnlichen Wahrnehmung abstrakte Prinzipen zu erkennen. Mit diesem unserem Wissen ist Macht versucht der Mensch nun das Universum zu besiedeln. Statt den realen Fortschritt in der reinen Vernunft jenseits von Gut und Böse im erkenne dich selbst zu suchen.

So verharrt der Mensch im „kleinen Anderen“ oder Selbst in uns, dass sich an das „Ich denke, also bin ich“ klammert, nach Identität sucht und dafür einen Rahmen aus Ego, Nation, Klasse, Rasse oder Geschlecht braucht, weil es nicht dem „großen Anderen“ der Selbstentfaltung des Universellen vertraut. Denn wir sind immer nur im Anderen. Und das Andere ist weder (m)ein Selbst noch das fassbare Du. Ich bin, weil du das unfassbar Andere bist. „Es gibt da eine Leerstelle, und diese Leerstelle heißt der Andere, der Andere als Ort, an dem die Rede, insofern sie verlegt wurde, die Wahrheit gründet.“ (Lacan). Absichtslos haben wir mit der reinen Vernunft jenseits von Gut und Böse, der Leere im Verstand kein Problem. Wir sehnen sie herbei, vertrauen dem reinen Geist jede Nacht im Schlaf, indem das Ich unser Wille zur Macht schweigt.

So ist die Begegnung mit der wirklichen Wirklichkeit Liebe. Ist der Weg Zärtlichkeit und Vertrauen. Im Gegensatz zum „Willen zur Macht“ der Hass und Gewalt sät, dem die rationale Aufklärung wie die Religionen folgen, denkt sie mit Erich Fried „Es ist, was es ist“. Haben wir die Wahrheit in ihrem Wesen erfahren, wissen wir, dass sie nicht nur nicht in Worte zu fassen ist, dass sie weder Namen noch Zahl hat. Wir verstehen jetzt Sokrates „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ und sehen in unserem Nichtwissen die Wahrheit. Jetzt gibt es unendlich viele Möglichkeiten, der Wahrheit in Liebe zu begegnen und keine mehr für Wahrheit in den Krieg zu ziehen.

Stellen wir die Wahrheit fest, ist sie weg. So kann uns Kants kritische Vernunft „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ nicht aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ befreien. Der Verstand kann weder Wahrheit noch Freiheit sein. Er kann lediglich mit seiner Akribie den „Willen zur Macht“ bekunden, die Welt mit dem Kapitalismus oder Sozialismus in den Bann von Mehrwert und Gewinn ziehen. Wahr und frei wird durch ihn lediglich die Lüge. Eben das, was wir im real existierendem Sozialismus erlebt haben und jetzt durch Donald Trump und die KI gerade in der ältesten Demokratie der Welt erleben. Der Besitz der Wahrheit ist der Wahnsinn, der die Menschheit in den Abgrund führt.

So führt die Dekonstruktion der Wahrheit als Symbol zum Bild ohne Autor. Das absichtslos kein Zufall ist. Rede und kein Diskurs. Affekt und kein Effekt. Indem das Ego im Bild verschwindet und die spontane Linie der Selbstentfaltung das Bild bestimmt. Das Bild geschieht nun nicht mehr durch einen von Interessen geleiteten Verstand. Durch ihn hindurch fällt es dem Erlebenden nicht zu. Was als Zufall erscheint, ist in Wirklichkeit die Selbstentfaltung der wechselseitigen Abhängigkeit des Realen. In deren Fugen wir die freie Assoziation als absolute Freiheit der Evolution erleben. Schauen wir uns einen Urwald an, in dem alles in gegenseitiger Abhängigkeit seinen Platz hat und in den Fugen sich von selbst zum Selbst entfaltet. Sodass kein Selbst mehr wert ist als das andere, weil alles vergänglich ist und dennoch besteht, indem es sich in sich selbst zurückzieht, aus sich selbst entfaltet. Das Wort für den Atem des Lebens kannten schon die Natur beobachtenden alten Griechen: „Autopoiese“ (autos = selbst, poiein = schaffen, bauen).

Ist der Baum der Erkenntnis Autopoiese, fallen Schöpfer und Schöpfung, Inhalt und Ausdruck nicht länger auseinander. Wir erleben, wie aus der wechselseitigen Abhängigkeit das Bild (die Welt) in unserem Kopf entsteht. Wie aus den unumstößlichen Wahrheiten, die das Objekt getrennt vom Subjekt behauptet, uns das alles fließt, die Natur ereilt. Doch nun nicht mehr, indem wir sie von außen beobachten, indem wir sie selbst verkörpern. Der Homo Poieticus als Lächeln der Existenz.

(JT, Februar 2025)