Das Absolute soll nicht begriffen, sondern gefühlt und angeschaut werden, nicht sein Begriff, sondern sein Gefühl und Anschauung sollen das Wort führen und ausgesprochen werden.“
(Aus Hegel „Phänomenologie des Geistes“)
Meine Arbeit ist eine Weiterentwicklung des Informel von der wilden Ekstase im Malprozess zur Verzückung im Auge des Betrachters. Wie der abstrakte Expressionismus entstand auch das Informel aus einer Kritik am gegenständlichen und geometrisch abstrakten Bild und wurde schließlich deren Dekonstruktion. Nach der Oktoberrevolution, dem Zweiten Weltkrieg und Holocaust sowie den Umwälzungen in der Physik durch Einsteins Relativitätstheorie wurde im Bild eine neue Objektivität angestrebt ohne ein als Ziel behauptetes Raum-Zeit-Kontinuum. Nach dem barbarischen Scheitern der vom Menschen im vergangenen Jahrhundert ideologisch erdachten instrumentellen Vernunft, im jetzigen ist sie technologisch gedacht, sollte das Bild nun als Gegenentwurf spontan aus dem Malprozess entstehen. Dabei kam es jedoch über den Automatismus, über die Festlegung auf Motorik nicht hinaus. So löste es sich nicht von dem Anspruch als gemaltes Objekt Beweis einer lediglich instrumentell verstandenen Objektivität zu sein. Zu ihm wurde das Bild in der westlichen Kultur zunächst in Stein gehauen als Skulptur in der Antike, gemalt in der Renaissance als Tafelbild.
So blieb die Dekonstruktion Konstruktion und Kunst künstlich. Denn der reinen Vernunft des Lebens, für die das Lebendige und nicht das Abstrakte, das Diesseits und nicht das Jenseits die Wahrheit ist, begegnet die Kunst erst, wenn ihr Bild nicht mehr objektiv (lat. obicere „entgegenstellen, vorsetzen, vorwerfen“) ist. Wenn es bewusst absichtslos und subjektiv das (lat. sub-icere „darunter-werfen, unter-legen, zugrunde-legen“) einer spontanen Bildung ist. Sodass das Bild nicht mehr durch den Künstler, durch ihn hindurch aus der Selbstentfaltung im Malprozess, nicht nur des Materials, der Autopoiese des Lebens entsteht. Erst dann ist das „Schöpfertum in der Kunst“ überwunden, wie es die Surrealisten forderten. Denn erst wenn die Metaphysik, die Unterstellung des Menschen, dass es ein Jenseits gibt, das die Physik auf Erden lenkt, nicht nur in Gestalt des „Schöpfers“ auch in ihrer Form als „Schöpfung“ durch die Linie der Autopoiese, die „Schöpfung“ durch „Selbstentfaltung“ überwunden ist, bejahen wir das Hier und Jetzt in ihr die Lebendigkeit als absolute Wahrheit des Lebens. Nur so überwinden wir die vom aufgeklärt bürgerlichen, bis zum revolutionär sozialistischen Denken heiliggesprochene instrumentelle Vernunft, ihre aufgeklärte Schöpfung, die den Verstand zum Schöpfer auf Erden kürt, der mit dem intelligiblen Universalismus ein nur ihm zugängliches Paralleluniversum erschafft. So hat man der Kunst genommen, was sie bereits im Höhlenbild war, ist und bleibt. Die Selbstentfaltung der Lebendigkeit im strukturellen Tanz der Koexistenz von Objekt und Subjekt.
Der Begriff „Autopoiesis“ oder „Autopoiese“ kommt aus dem altgriechischen und bedeutet „autos“ – selbst, „poiein“ – schaffen, bauen: Selbsterhalt und Selbstentfaltung. So haben die Vorsokratiker gedacht. Sie haben das Absolute in dem von ihnen beobachteten Werden und Vergehen auf Erden gesehen und nicht entrückt als objektive Idee einer instrumentellen Vernunft aus dem Himmel. Der Wandel vollzog sich mit dem Alphabet, indem abstrakte Zeichen die an die irdische Selbstentfaltung gebundenen Hieroglyphen ablösten und so eine intelligible Welt erschufen, die als Gegenentwurf, als instrumentelle Objektivität nur dem Verstand zugänglich ist. Heute sprechen wir von einer virtuellen Welt, die die intelligible Welt des Alphabets mit den Algorithmen der KI nicht nur visualisiert, durch das manipulierte Bild ersetzt. Der Mutterkonzern von Google heißt nicht umsonst Alphabet. So macht sich das objektivistische Denken das subjektive Sein untertan, versklavt die instrumentelle Objektivität das Subjekt. So wurde aus der Versklavung des Menschen durch den Menschen die Versklavung des Menschen durch das Ding. Durch die „Allopoiesis“ (altgriech. allo „anders, verschieden“, poiein „schaffen, bauen“). Die anders nicht wie Natur nur sich selbst Mehrwert Produkte erschafft, die Natur nicht nur ersetzen, gar zerstören. Heute als Maschine, morgen als KI. An diesem Selbstverständnis hat sich vom feudalen Adel über die bürgerlichen und sozialistischen Revolutionen bis in die digitale Revolution hinein nichts geändert.
So erstaunt es nicht, dass der Wandel aus Lateinamerika kam, wo die Bindung des Denkens an die „Mutter Erde“ (Pachamama), bis heute lebendig geblieben ist und wo das Christentum mit der Befreiungstheologie eine andere Wendung nahm als in Europa. So waren es die chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco J. Varela, die 1984 mit ihrem Buch „Der Baum der Erkenntnis: die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens“ den Begriff „Autopoiesis“ bzw „Autopoiese“ in der Biologie verankerten. Und mit der These untermauerten, dass der soziale Prozess dem biologischen entspringt und ihm nicht entgegensteht, wie die westliche Aufklärung es sich denkt. In der Einleitung des Fischer-Verlages zum Buch „Der Baum der Erkenntnis“ heißt es:
„Der alten darwinistisch geprägten Biologie zufolge überlebt ein Lebewesen nur dann, wenn es sich möglichst perfekt seiner Umwelt anpasst. Es wäre damit sklavisch abhängig von einer objektiven Außenwelt. Für Maturana und Varela gibt es jedoch keine „objektive“ Wirklichkeit. Wenn Grunderfordernisse des Lebens erfüllt sind, haben lebende Systeme alle Freiheit, sich ihre Welt selbst zu schaffen, anstatt bloß auf Vorgegebenes zu reagieren. Für den Menschen gilt das natürlich in besonderem Maße. Das Subjekt ist somit entscheidend an der Schöpfung seiner nur scheinbar objektiven Wirklichkeit beteiligt. Die neue Bezeichnung von Leben, wie es die Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela definiert haben, ist Autopoiesis, was soviel heißt wie: sich selbst schaffen. Die in der Menschheitsgeschichte von Weisen, Mystikern und Philosophen erkannte Einheit von Subjektivität und Objektivität, von Ich und Welt, von Bewusstsein und Sein, wird von Maturana und Varela klar bestätigt und mit naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen belegt.“
Der Irrtum der instrumentellen Objektivität ist es, das Spiegelbild mit der Realität zu verwechseln. Denn es ist egal, woraus ihr Ziel und Gegenentwurf besteht, aus einem Gott im Himmel oder dem Politbüro in Berlin. Einer „Neuen Welt“ auf Erden oder einer KI aus dem Silicon Valley, einer Aufklärung aus Königsberg oder einer Idee von Beuys, aus Religion oder Wissenschaft, Ideologie oder Technologie, stets ist sie nicht mehr als die Pfütze, in der der Narziss sich zum ersten Mal sieht und das, was er sieht, für das Allgemeine hält. Im Spiegelbild, das uns von außen betrachtet objektiviert. Sodass das Subjekt des Lebens sich im Spiegel in ein Objekt verkehrt, in das sich der Narziss als Gegenentwurf zu seinem defizitären Selbst verliebt. Tatsächlich ist das instrumentelle Denken Polizei, die das Spontane in gesetzliche Bahnen lenkt.
Doch nicht das faktisch als objektive Wahrheit gedachte Sein, der leibhaftig lebendige vegetative Traum bestimmt trotz der ihn objektiv formenden ideellen und materiellen Bedingungen das Bewusstsein. Denn jedes Wesen, ob Mensch, Tier oder Pflanze, trägt in sich als unwesentliches Bewusstsein einen Traum, den es in der Welt verwirklicht. Das unwesentliche Bewusstsein ist unsere Lebendigkeit, vegetativ im Körper verankert, wird es mit dem extrinsischen Leib zusammen geboren und existiert als Wesen und Gestalt spirituell auch ohne Leib noch fort. Das unterscheidet Gestalt und Wesen von der Idee und der Materie. Das Absolute wird gefühlt und nicht verstanden. Es ist weder von außen zu fassen noch zu erleben. Es ist wie die Mutter Haus und Behausung zugleich. Wir stehen dem Traum nie wie dem Vater nur gegenüber, wir sind in ihm immer mittendrin, als Traum jedoch nur aus der Position des Vaters, nur aus dem Außen zu erkennen. So heißt „von der Geburt aus denken“, wie Hannah Arendt es fordert, im Denken das In-Sein nicht zu vergessen („Wo sind wir, wenn wir denken?“). So kritisiert Hannah Arendt in ihrem letzten als Vermächtnis geltenden Band „Vom Leben des Geistes. Das Denken. Das Wollen“, die Dualität der westlichen Philosophie als ein „vom Tode aus denken“. Denn nur aus der Isolation einer Labor-Perspektive lässt sich das Leben objektiv betrachten. So ziehen wir richtig – falsche Schlüsse.
So ist der Irrtum der rationalen Aufklärung der instrumentelle Umgang mit dem Lebendigen. In der Kunst ist der Irrtum das Genie, in der Religion, der Prophet und in der Philosophie der Erleuchtete. Alles Männer, die von sich glauben, den Geist geboren zu haben. Doch was sie gebären, ist wie in der leiblichen Geburt schon längst als Lebendigkeit vorhanden, nur in seiner Form hat es nun blonde statt dunkle Haare, blaue statt braune Augen. So gehört das Geistige in der Kunst niemand. Weder dem Adel, einer Nation oder Klasse, auch nicht dem Geist. Denn es ist das, was von selbst aus sich heraus entsteht. Die Lebendigkeit und Individualität im Leben. Dass was nicht zu fassen ist, weil es nicht nur in sich und an sich auch für sich leer ist. Allein für die Ekstase, etwas zu erleben, was weder materiell noch ideell existiert, das einfach ist, was es ist, für diese unsere Lebendigkeit leben wir, sind wir Sex mit Seele.
Unbegreiflich und in Begriffen nicht zu finden ist der Raum des Traumes. Er ist das Jenseits von Gut und Böse, das Jenseits der Moral und damit des unglücklichen Bewusstseins. Moral braucht nur das Ego, nur der Mensch, der sich über die Natur erhebt. Der glaubt, sich mit dem Verstand aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Denn die intelligible, nur dem Verstand zugängliche Welt des Faktischen muss sich moralisch prüfen, ob ihr Handeln ein Allgemeines ist. Bleibt das Ich in seinem Selbstverständnis Teil der Natur, ist die gegenseitige Abhängigkeit in der Natur nicht nur das Allgemeine, zugleich für das Selbst die absolute Freiheit, indem sein Ich im Fluss mit der fließenden Natur glückliches Bewusstsein ist. So ist die Natur von Grund auf sozial und die Sozialisation keineswegs eine kulturelle Errungenschaft des Menschen. Wie es das protestantische egozentrische Denken der kantschen Aufklärung behauptet. So lautete in Ruanda die wohl älteste Stammesweisheit „Ich bin, weil du bist“ („Ubuntu“). Und Hegel nennt das soziale Netz in der Natur, das „Bei-sich-selbst-Sein im Anderen.“
So hört das autopoietische Bild auf, ein Gegenentwurf zum Leben zu sein. Wie der Spiegel ist es leer, zeigt, wie er mit den Mitteln der Kunst alles. Doch anders als der materielle Spiegel, der das Subjekt in ein Objekt verkehrt, erkennt das Subjekt im Spiel mit dem geistigen Spiegel, den es als Verstand in seinem Kopf hat, wie die Welt in einer Choreografie zwischen Objekt und Subjekt in unserem Kopf entsteht. Sodass unser Problem nicht die spiegelbildliche Einheit von Subjekt und Objekt ist, sondern die instrumentelle Verkehrung der Tatsachen durch das Faktische, die einseitige monotheistische Ethik. Denn mit ihr erhebt sich der intelligible Universalismus als Paralleluniversum über das Universum und behauptet sich als unsterblich. Was heute nicht nur spirituell, wie einst ideologisch durch die Religion technologisch der Mann auf dem Mars beweisen soll.
So ist die Kunst nicht an sich poetisch, denn die Poesie existiert nur durch ein Prinzip, das ihr nicht eigen ist, die Autopoiese. Nur in dem das Leben sich durch das „Stirb und werde“ in seiner Lebendigkeit von selbst in Ewigkeit erhält und entfaltet, kann es poetisch sein. So muss nicht nur der Künstler, auch der Betrachter im autopoietischen Bild verschwinden und vor ihm wieder auftauchen. So bleibt das Bild objektiv ein Objekt, das subjektiv wie ein Spaziergang durch den Wald erlebt wird. Zunächst sehen wir den Wald vor lauter Bäumen, das Bild vor lauter Farben und Formen nicht, doch dann betreten wir die Lichtung und erleben den Reichtum ohne Kapital, als Mehrwert die kollektive Ekstase Liebe.
„Das ist die biologische Grundlage sozialer Phänomene: Ohne Liebe, ohne dass wir andere annehmen und neben uns leben lassen, gibt es keinen sozialen Prozess, keine Sozialisation und keine Menschlichkeit. Alles, was die Annahme anderer untergräbt – vom Konkurrenzdenken über den Besitz der Wahrheit bis hin zur ideologischen Gewissheit – unterminiert den sozialen Prozess, weil es den biologischen unterminiert, der diesen erzeugt.“ (Maturana/Varela).
So bleibt der Fortschritt in der Natur divers und organisch, während er im Denken des Menschen linear und technisch ist. So kann der Mensch nur im Einklang mit der Natur, das heißt mit sich selbst leben, wenn das autopoietische Bild der Natur nicht in der monotheistischen Ethik des Verstandes mit dem Menschen als Autor verschwindet. So reicht es nicht aus, den Schöpfer im Himmel zu überwinden und ihn durch den Schöpfer auf Erden zu ersetzen. Erst wenn wir uns selbst als Autopoiese sehen und begreifen, ist die Existenz auf dem Planeten Erde Freiheit und Reichtum für alle Menschen, Tiere, Pflanzen, die Elemente und den Planeten selbst.