Das dialogische Prinzip „Ubuntu“:

„Ich bin, weil du bist“

 


 

*UBUNTU ist eine südafrikanische „Philosophie der Menschlichkeit“, bedeutet in der ruandischen Sprache (Kirundi): „gratis“ und wird in Europa mit „Ich bin, weil du bist“ übersetzt.
Den Podcast „Radiowissen“ von BAYERN2 : „Afrikas Ubuntu – Philosophie der Menschlichkeit“, hier hören:

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Mit dem „WuWei“, dem „absichtslosen Tun“ aus dem Tao und dem „Satori“, der „gedankenleeren Ekstase“ aus dem ZEN, ist der Einfluß des „rechten Weges“ aus der chinesischen Philosophie in meinen Arbeiten unverkennbar. Dazu hier aus dem Podcast „Sein und Streit“ von Dlf KULTUR ein Gespräch mit dem Senologen Hans van Ess: „Chinesische Philosophie – Unsere Unkenntnis hat koloniale Wurzeln“.

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ZEHN THESEN FÜR EIN NEUES MENSCHENBILD


 

1.

Zwischen „Ursache“ und „Wirkung“, zwischen dem Regen als „Ursache“ und der nassen Straße als „Wirkung“, gibt es eine, der „Kausalität“ innewohnende „Korrelation“, den „Zufall“: Die Wassertropfen fallen dem Boden zu. Zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, das in der richtigen Zusammensetzung – H2O – Wasser ergibt, entscheidet die „Korrelation“ der Außentemperatur, das „Zufällige“, ob es Wasser, Dampf oder Eis wird. Zwischen der Farbspur auf der Leinwand und der Vorstellung im Auge der Betrachtung entscheidet die „Art“, wie die Farbe der Leinwand zugefallen ist, ob es zu einer freien oder festgelegten Assoziation kommt. Aristoteles nannte das „Nebensächliche“ und „Zufällige“, das, was das „Zugrundeliegende“ – die „Substanz – überschreitet, die „Akzidenz“. Die „Akzidenz“ ist seit den Höhlenbildern, in denen die Felswand das „Zugrundeliegende“ ist, die „Substanz“ der Malerei. Erst in der Renaissance drehte das „Tafelbild“ den Spieß um. Mit der „Zentralperspektive“ konnte sie behaupten, eine „zweite Natur“ ins Bild zu setzen, vollendeter als die erste. So verlor das Bild seinen „Kultcharakter“, war es nicht mehr, wie das „Altarbild“ oder die „Statue“, an eine „Kultstätte“ gebunden, war es als „Ausstellungsstück“ frei verfügbar, allein das „Zugrundeliegende“. Die „moderne Kunst“ erlöste es schließlich vom Paradigma des „Naturbildes“, indem sie es nicht mehr „nach“, „vor der Natur“ bildete und das „Das Geistige in der Kunst“ (Kandinsky) betonte. Mit dem „abstrakten Bild“ war dann die „Akzidenz“ wieder die „Substanz“, doch nun nicht mehr als „Felswand“, endlich als „Medium“, als Überbringer des „Freien Geistes“. Dieser Gedankenstrang riss ab, als die „neuen Medien“ in die bildende Kunst vordrangen und wird von mir wieder aufgegriffen. „Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung“, sagt Walter Benjamin  in seiner Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ und zeigt auf, dass die Kunst dabei Kunst bleibt, indem sie ihre „Aura“, die „Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“, nicht verliert. Ja, indem das Bild nicht nur ein technisch reproduzierbares, durch die „neuen Medien“ ein von jedem manipulierbares geworden ist, wird die „Aura“ zum „Medium“ des „Freien Geistes“, der stärker ist, als jeder „Freie Wille“. 

2.

Am Anfang war der Klecks, eine spontane Geste, die mir vor Augen führte, dass der „Freie Geist“, das „Körperbewusste“, klüger ist als der „Freie Wille“ – der „Verstand“. Mein „Körper“ besaß „Urvertrauen“, dem der „Verstand“ nicht mehr vertraute, das er nach „schlechten Erfahrungen“ mit „Angst“ überschrieben hatte, mit Lenins berühmten Satz: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. So blockierte meine „Angst“ – „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ (Marx) – das „Nicht-Sein“. So baute sich vor jeder „Leere“ die „Angst“ auf, weil das Festhalten der „schlechten Erfahrung“ das „Urvertrauen“, mit dem wir das Licht der Welt erblicken, untergrub. Bis der Zweifel in der Verzweiflung angekommen war und ich ihm in einem „Burnout“ erlag. Plötzlich zeigte die „Angst“ ihr „wahres Gesicht“, wurde aus der „Leere“, die sie selbst verbreitet hatte, eine „Lehre“. Ohne „Angst“ wissen wir nicht warum wir scheitern. So begann ich mit dem Pinsel in der Hand mir einen neuen „Verstand=Freier Wille“ zu erarbeiten, der dem „Freien Geist=Zufall“ folgt. Dabei erging es mir wie allen, die glauben eine Entdeckung gemacht zu haben: Wir können der Welt nichts absolut Neues hinzufügen, alles ist bereits vorhanden, wir können es lediglich neu, in anderer Form sehen und hervorbringen. So stieß ich auf „Graswurzelideen“, die das, was ich auf Papier und Leinwand als „neu“ entdeckte, seit Jahrtausenden im täglichen Leben praktizieren: Auf „Oya“, die „Göttin der Transformation“ aus Nigeria, auf ein „Oya“, das nach Japan gewandert und hier „Familienteil“ ist, im Türkischen zur „Häkelspitze“ wurde und bei uns als „Lebendigkeit sei!“ übersetzt wird; auf das taoistische „WuWei“, das in China ein „Tun ohne Tun“ ist und in Europa zur „écriture automatique“, dem „automatischen Schreiben“, in Amerika zum „action painting“ wurde; auf „Ubuntu“, eine südafrikanische Weisheit und Philosophie, die ein dialogisches Prinzip artikuliert: „Ich bin, weil du bist“ und in Ruanda auch als „gratis“ übersetzt wird. So verstand ich, dass ich „weltmodern“ denke, indem ich mich von der europäisch-amerikanischen Idee der Moderne abgrenze und vor-moderne Ideen aus Stammeskulturen aufgreife, sie post-modern für die individualisierte und globalisierte Welt neu denke.

 

3.

Die bildende Kunst ist, wie Walter Benjamin reflektiert, bis in die Moderne, bis ins „l´art pour l´art“ hinein, immer Ritual geblieben, war ursprünglich ein „magisches“, dann ein „religiöses“, ist seit der Renaissance ein Ritual des „schönen Scheins“. Daran hat auch die abstrakte Kunst nichts verändert, im Gegenteil, sie hat dem Ritual eine „negative Theologie“ verliehen, die als „reine Kunst“, „nicht nur jede soziale Funktion sondern auch jede Bestimmung durch einen gegenständlichen Vorwurf ablehnt“. Hier sieht Walter Benjamin ein Einfallstor für den Faschismus, der eine „Ästhetisierung des politischen Lebens“ betreibt. Kommt der „Sinn des Lebens“ abhanden, tritt die „Ordnung des Lebens“ an seine Stelle. Jetzt steht sogar der Freiheit Suchende stramm, ruft er nach dem „starken Mann“. Daraus zieht Benjamin für die Kunst die Konsequenz: „An die Stelle ihrer Fundierung aufs Ritual hat ihre Fundierung auf eine andere Praxis zu treten, nämlich die Fundierung auf Politik.“ Er dreht den Spieß um: Statt die Politik zu „ästhetisieren“, muss die Ästhetik sich „politisieren“. Das hat mit „Tagespolitik“ überhaupt nicht zu tun. Diesem Irrtum erliegt zur Zeit die „zeitgenössische Kunst“, indem sie versucht eine „andere Politik“ zu sein und wird dabei tatkräftig vom Journalismus unterstützt, der endlich eine Kunst hat, die recherchiert werden kann. Walter Benjamin sagt etwas anderes: Weltanschauung ist politisch! Wie wir die Welt anschauen, so handeln wir. Betrachten wir sie als „geistlose Materie“, ist sie zur Ausbeutung freigegeben, betrachten wir sie als „Schöpfung“, ist der Mensch nicht nur Gottes „Ebenbild“, auch dessen „Sündenfall“, betrachten wir sie als „lebendiges All“, ist das Leben in ihr „absolut frei = absolut begrenzt“ – „Lebendigkeit sei!“.

 

4.

„Praktische Vernunft“ realisiert im metaphysischen Verständnis im Alltag des Menschen vom „Freien Geist“ vorgeprägte „Soheiten“, die das konkrete „Sein“ überschreiten. Dazu zählt Thomas von Aquin das „Eine“, „Seiende“, „Wahre“, „Gute“, „Schöne“ und die „Andersheit“. Sie bilden in seinem Verständnis die „Transzendentalien“ der „communissima“, der „ersten Philosophie“. Kant, der den „heiligen Geist“, von dem Thomas noch ausgeht, in eine „reine Vernunft“ verwandelt, fügt mit der „Freiheit“ eine weitere „Transzendentalie“ hinzu. Die „Transzendentalien“ bilden dabei eine „geistige Allmende“ (Allgemeingüter), die, wie der Raum, die Zeit, die Luft, das Wasser, die Erde, allen gehören und unbewusst als „Erbgut“ und „Vorbild“ in das Bewusstsein eintreten. Aus diesem unbewussten „Nicht-Wissen“ bildet das bewusste „Denken“ sein „Sinnfeld“, das die Gedanken zur „Praktischen Vernunft“ ordnet und zu ordnet. Dabei ist die „reine Vernunft“ weder ein „Laborbefund“, „Allwissen“, noch ein „Buch mit sieben Siegeln“. Sie ist „rein“ im Gegensatz zur „praktischen Vernunft“, die durch ihre Interessen geleitet, mit ihrem egoistischen Wissen, „unrein“ ist. So dass die „praktische Vernunft“ nicht nur die „reine Vernunft“, den „Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) blockiert.


„Das echte Gespräch bedeutet: aus dem Ich heraustreten und an die Tür des Du klopfen“ (Albert Camus)


 

5.

Folgt der Mensch der „reinen Vernunft“ ist das „Sinnfeld“ des Verstandes ein „Feld der Leere“. Nur wenn das „Sinnfeld“ leer ist, wie ein Spiegel, nimmt es alles wahr, ohne es festzuhalten, vergisst es alles und erkennt es in der Erinnerung wieder. Nur in der „Lethe“, im Fluss des Vergessens, wie es in der griechischen Mythologie heißt, im „Tun ohne Tun“, wie es im „Tao-Te-King“ heißt, im „Form ist Leere, Leere ist Form“, wie Buddha lehrt, begegnen wir der „absoluten Wahrheit“ („Aletheia“), dem „Ewigen“ („Tao“), dem „reinen Geist“ („Nirvana“), der „communissima“ („erste Philosophie“), dem „a priori“ („Urgrund“), dem „Ich bin, weil du bist“ („Band des Teilens“), dem „Lebendigkeit sei!“ (Oya), das verlangt der „Aletheia“, dem „Tao“, dem „Dharma“, der „reinen Vernunft“, dem „Ubuntu“, „Oya“ zu folgen. In der „Kritik der reinen Vernunft“ erkennt Kant die Begrenztheit des menschlichen Verstandes: „Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt“, daraus schlussfolgert er in der „Kritik der praktischen Vernunft“: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“. Kant erliegt hier der „praktischen Vernunft“, dem „Freien Willen=Verstand“, der realisieren musste, dass wir die „reine Vernunft“, den „Freien Geist=Zufall“, weder wissen noch erkennen können und folgert daraus, wir müssen Gott gleich handeln, selbst wenn wir keinen haben. Ganz anders die „Graswurzelideen“ Oya („Lebendigkeit sei!“), WuWei („Tun ohne Tun“) und Ubuntu („Ich bin, weil du bist“), die dem „Freien Geist=Zufall“ folgen.

 

6.

Die „Graswurzelbewegung“ unterläuft die Hierarchisierung des Denkens, das „von-oben-angesprochen-Sein“, das die theistischen Religionen in die Welt gesetzt haben und die Aufklärung mit ihrem „Freien Willen=Verstand“ grundsätzlich nicht widerlegt. Sie setzt dagegen ein „von-unten-aufgerichtet-Sein“, ein „Ich bin, weil du bist“, das den Widerspruch zwischen „Ich“ und „Du“, zwischen „Individuum“ und „Gemeinschaft“ nicht leugnet, im Gegenteil, ihn als Oxymoron, als Komposition versteht. So dass es hier nicht um ein „Deal“, nicht um ein „Geschäft“ geht, hier wäscht nicht eine Hand die andere, hier gibt es weder „Recht“ noch „Gewinn“, hier ist „Gerechtigkeit“ intrinsisch, durch die Tat der „Geburt“ und die Sache des „Todes“ eine „absolute Autorität“, der niemand lebend entkommt. So wächst in der Wiege ein „Menschenrecht“ heran, das vor keinem Gerichtshof einklagbar ist: Die „absolute Freiheit“. Im „Zwischen“, zwischen Geburt und Tod, entfaltet das „Lebenleben“ seine „Selbstwirksamkeit“. „Ubuntu“ verlangt, dass beide Seiten, das „Selbst“ (Ich) und das „Fremde“ (Du), ihre „absolute Freiheit“ entfalten. Nur durch „Selbstwirksamkeit“ kann sich ein herrschaftsfreies „Wir“ entfalten, erkennt es nicht nur die „absolute Abhängigkeit“ vom Denken des Anderen als Freiheit – „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ (Rosa Luxemburg) – es sieht die „absolute Abhängigkeit“ vom Anderen, wer oder was sie auch ist, grundsätzlich positiv, als ein „Band des Teilens“ und nicht als „Begrenzung“ an. Er hat sich seinem „Schicksal“ zugewandt, erkennt, es geht nicht anders und rennt mit dem „Freien Willen“ nicht mehr gegen die Wand. Die Kraft, die er dabei verlor, stärkt ihm nun nicht nur den Rücken, er hat den „Freien Willen“ und damit den Stress ein „Übermensch“ zu sein losgelassen und lebt als „Freier Geist“ sein „Lebenleben“. Diese existentielle Erfahrung der „Selbstwirksamkeit“ kann die „relative Freiheit“ der „westlichen Moderne“ dem Menschen nicht geben, sie hat die „Rückbindung“ durch den „Fortschritt“ ersetzt.


„Das Geheimnis Europas ist, daß es das Leben nicht mehr liebt“. (Albert Camus)


 

7.

Das „System der Verdinglichung“ durch eine „Objekt-Objektivität“ beginnt als der Mann die „Mutter Erde“ enteignet und den „Quell des Lebens“ einem „Gott Vater“ im Himmel zu spricht. Das geschah durch Feuer und Metall. Indem der Mensch in der Erde nicht nur Steine und Erze fand, sie mit dem Feuer auch bearbeiten konnte, setzte sich die „Macht des Gemachten“ gegen die „Macht der Lebendigkeit“ durch. Mit den Werkzeugen und der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau wurde hier bereits der Grundstein für die „Macht der Dinge“, das männliche Prinzip „Zeugung“: Jagen, Zerlegen, Ausbeuten, die spätere Klassenherrschaft gelegt. Bis dahin huldigte der Mensch die „Macht der Lebendigkeit“, das weibliche Prinzip „Gebären“: Sammeln, Verbinden, Vermehren, betete er es in Gestalt der Vulva an, die die Magie besaß über Geburt und Tod zu entscheiden. Wie das Weibchen in der Tierwelt entscheidet, wieviele von der Geburt überleben sollen, entschied dieses allein die Frau. Als der Mann Ordnung in das Chaos brachte, musste er den Beweis antreten, dass das männliche Prinzip der „Zeugung“ dem weiblichen Prinzip des „Gebärens“ überlegen ist. Das gelang ihm mit der Erfindung der „Gott-Maschine“, die eine „permanente Erektion“, eine außerhalb der Natur bestehende Ordnung vorgaukelt. So wurde aus dem Klang das Wort, aus dem Wort die Zahl, aus der Zahl die Schrift, aus der Schrift die Formel, aus der Formel der Algorithmus…, aus der Natürlichkeit die Systematik, aus der Organik die Technik, aus der Mechanik die Maschine…, soll die Kybernetik der hightech Avatare und Roboter den Menschen ersetzen… Das „System der Verdinglichung“ folgt einem „Sachzwang“, den es in der Natur nicht gibt, ihn unterläuft das dialogische Prinzip „Ubuntu“, das damit das Zeug hat als „Slumdog“ Welt zu verändern, tatsächlich „weltmodern“ zu sein.

 

8.

Bis auf den heutigen Tag ist die „Moderne“ eine europäisch-amerikanische Idee, die von den alten Kolonialmächten mit der Überlegenheit der „abendländischen Denkmaschine“ der Welt aufoktroyiert wurde und nach Meinung der Europäer bestenfalls von den Chinesen kopiert werden kann. Der Gedanke, dass alle Teile der Welt Aufklärungen und Modernen kennen, ist im Westen fremd. Hier sitzt das Vorurteil, das die rationale Aufklärung gesät hat, allen voran der „Rasse“-Begriff, den Immanuel Kant in die Philosophie einführte, noch tief: „In den heißen Ländern reift der Mensch in allen Stücken früher, erreicht aber nicht die Vollkommenheit der temperierten Zonen. Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der ‚race‘ der Weißen. Die gelben Inder haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.“ So verlangt „Ubuntu“ nicht nur: „Entkolonialisiert euch!“ „Ubuntu“ bleibt nicht bei einer „Kritik der rationalen Vernunft“ stehen und propagiert weder einen „Klassenkampf“ noch einen „Kampf der Kulturen“. Was kein Einverständnis mit der Ausbeutung und Unterdrückung, dem Reichtum in den Händen weniger und der Armut der übrigen Weltbevölkerung ist. „Ubuntu“ verfolgt einen anderen Ansatz. Eine „Philosophie des Wir“. Begriffe wie „Klasse“, „Rasse“ und „Geschlecht“ wurden politisch relevant, als die Ordnung in der Welt nicht mehr „gottgegeben“ war. Das geschah, als das Bürgertum sich auf Bildung, Wissenschaft und Technik stützend zur „Bourgeoisie“ erhob und in „Bürgerlichen Revolutionen“ und „Nationalen Befreiungskriegen“, die Herrschaft von „Klerus“ und „Adel“ beendete, die Leibeigenschaft für die Weißen abschaffte und mit ihrer politischen Macht in Kolonialkriegen die Schwarzen versklavte. Damit wurde zugleich die Arbeiterklasse, weltweit eine Bevölkerungsmehrheit von Ausgebeuteten und Entrechteten geschaffen, die über kein Eigentum an den Produktionsmitteln verfügen. Von ihnen nahm der Marxismus-Leninismus an, dass sie sich zur Klasse organisieren und als „Proletariat“ nicht nur die politische Macht erobern, mit ihr die Klassenherrschaft überhaupt abschaffen. Doch weder die Klasse der Arbeiter, das Geschlecht der Frauen, noch die Schwarzen entwickelten diesen „Willen zur Macht“. Sie entwickelten einen anderen Willen: Für Gleichberechtigung, für ein „klassen-, geschlechts- und rassenloses Wir“. Dieses Bewusstsein ist politisch irrelevant, solange Politik lediglich „sozial“ und nicht „individuell“, als gesellschaftlicher „Überbau“ und nicht als „Selbstwirksamkeit“ des Menschen gedacht wird. Politik muss scheitern, wenn sie der Maxime: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ folgt, dann reproduziert sie lediglich die in der Welt vorhandene Ungleichheit. Nur mit der Maxime: „Das Nicht-Sein bestimmt das Bewusstsein“ wird ihr eine „Neue Welt“ gelingen, in der ein reales „Band des Teilens“ ein „gleichberechtigtes Wir“ umsetzt. So dass von Ort zu Ort eine „Polis“ Realität werden kann, die als revolutionäre Gegenmacht den „Freien Geist“ gegen den „Freien Willen“ durchsetzt, der für die Weltbevölkerung Ausbeutung und Unterdrückung, Freiheit und Wohlstand nur für Wohlhabende bedeutet.

 

9.

„Das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile“, sagt die Gestalttheorie, nach dem sie sich mit der „Quantentheorie“ auseinander gesetzt hat. Aristoteles hatte noch gesagt: „Das Ganze ist mehr, als die Summe seiner Teile“. Doch das Ganze ist ein „Quantensprung“, von der Quantität der Teile, in eine Qualität, die sich als Ganzheit nicht in ihre Teile zerlegt. Damit ist das Ganze für den Menschen unfassbar-fassbar, weil der Verstand nur Quantität und Qualität, den Quantensprung nicht denken kann, dieser vom Körper in der Geburt aber bereits unbewusst erlebt wurde. So dass wir nachträglich das „Gelebte“ in ein „Erlebtes“ verwandeln und auf diesem Wege „Weisheit“, die „natürliche Erleuchtung“ wiedererlangen. „Der Weg ist raumleer“, sagt Laotse. Soll heißen, es begleitet uns kein „Wissen“, das „Nicht-Wissen“ vor der „Erinnerung“ ist der Kompass, der das „Ganze“ in Gestalt des „Urvertrauens“ zurück ins Bewusstsein holt. Das hat im Westen die „Gestalttherapie“ verstanden, die „Psychoanalyse“ hingegen nicht. Sie glaubt, wie ihr ästhetischer Pendant der „Surrealismus“, dass wir, indem wir von Außen nach Innen und umgekehrt schauen, das „Ganze“ erkennen und merkt nicht, dass sie lediglich die Summe, der von ihr zuvor abgespaltenen Teile wieder zusammensetzt. Das geschah auch in der „écriture automatique“, dem automatischen Schreiben und Malen, das die Surrealisten vorgaben. Text und Bild wurden nicht mehr durch den „Autor“, ohne Kontrolle durch den Verstand hervorgebracht, doch im Ergebnis hat das Bild lediglich die Semantik verändert, war es ein „kontrollierter Zufall“, ein „surrealistisches All“, weil in einer vom Wissen geprägten Welt das „Ganze“ immer „Mehr“, ein „Gott“, sein muss und nicht „etwas anderes“ sein darf: „Weniger ist mehr“.

 

10.

Die „bildende Kunst“ hat alles durch. Sie war Höhlenbild, Ritualgegenstand, Totem, Ebenbild, Abbild, Ikone, Kalligrafie, Idee, Konzept, Zufall, gegenständlich, abstrakt, informell, realistisch, surrealistisch, nur eines blieb dabei in der Höhle: das „dialogische Prinzip“. – „Ich (Bild) bin, weil du (Aura) bist.“ – Das Gebot der theistischen Religionen: „Du sollst dir kein Bild machen“, Gott ist die Aura, wirkt selbst in der „Bilderflut“ eines gottlosen Internets nachhaltig. Nicht das Sehen bestimmt das Bild, ein „Ersatzgott“, der „Algorithmus“ gibt es vor. So hat die bildende Kunst, selbst als sie den Menschen abbildete, nicht den Menschen gebildet. Sie hat mit der Ikonografie den „Schein“ einer „Gott-Maschine“ ins Laufen gebracht, die sie zur „Kunst“ erhob, während die anderen Künste der „Mimesis“, die die Natur nicht nur darstellen, sie direkt und unmittelbar verkörpern, „nur“ sind: Musik, Tanz, Theater, Performance… Doch die bildende Kunst ist längst keine „Avantgarde“ mehr, heute programmieren Informatiker den „Schein“ einer „Gott-Maschine“. „Was mit der Verkümmerung des Scheins, dem Verfall der Aura in den Werken einhergeht, ist ein ungeheurer Gewinn an Spiel-Raum“, sagt Walter Benjamin (1936) der „bildenden Kunst“ voraus, wenn sie zum „Urphänomen aller künstlerischen Betätigung“, zur „direkten Mimesis“: Dem Tanz, der Sprache, dem Körpergestus zurückkehrt…

(April 2021)