Die kopernikanische Wende im Denken

Nachwort zum Buch „Du sollst dir dein Bild machen – Die Narration ohne Da-Sein“

1543 revolutionierte Nikolaus Kopernikus die astronomische Welt-Anschauung. In seinem Hauptwerk „De revolutionibus orbium coelestium“ ersetzt er die Annahme von einer ruhenden Erde, um die die Sonne und Gestirne kreisen, durch die Annahme, dass die Erde eine zweifache Bewegung ausführt, indem sie sich täglich um ihre Achse dreht und jährlich um die Sonne kreist. Das Moderne seines Denkens ist, dass er bei der Anschauung der Welt über den unmittelbaren Augenschein hinausgeht, durch konstruktive Vernunft neue Erkenntnis erlangt.

1781 unternimmt Kant mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ ebenfalls den Versuch einer „kopernikanischen Wende“. Er benutzt den Begriff selbst nicht, will aber ähnlich wie Kopernikus, der sich vom geozentrischen Denken entfernte, vom egozentrischen Denken weg. In seiner „Kritik der reinen Vernunft“ ist „rein“, für ihn: „ohne Zuhilfenahme der Erfahrung“, kritisiert er sowohl die subjektive Erfahrung (sie kann täuschen), wie auch die objektive Erkenntnis (Theorie kann irren) und kommt zu einem ersten Schluss: „Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt.“

So sucht Kant das Selbst des Denkens, das vom Denker nicht widerlegt werden kann und findet es im „a priori“. Das sind Grundsätze, die unabhängig von der Erfahrung und Wahrnehmung zum Ausgangspunkt des Denkens werden. In diesen „analytischen Urteilen“ fallen nach Kant, Subjekt und Prädikat zusammen – der Schwan bleibt weiß, auch wenn wir einen schwarzen sehen. Mit diesem „Ding an sich“ findet Kant, wie Aristoteles, der das „Denken des Denkens“ ausmachte, einen analytischen Weg zur spontanen Ordnung der Dinge vor dem „Ding“, zum „Logos“ vor der „Logik“. Aristoteles schreibt auf dieser Grundlage seine „Metaphysik“. Das Problem mit dem „Ding an sich“, dem „ersten Beweger“, ist, dass er formal Gott – das Symbol des Absoluten ersetzt, indem er dessen Position besetzt, doch ein Gott der Philosophen bleibt. Denn das analytische „Ding an sich“ wird im Gegensatz zum Symbol kein „Ding für sich“, an das der Glaube glaubt.

So ist die „kopernikanische Wende“ im Denken der Abschied vom „Denker des Denkens“. Wer sich sehen will schaut in einen leeren Spiegel, wer sich denken will, schaut hingegen in einen vollen. Weil das „Ich denke“ immer in Formen des „Über-Ichs“, Gott, Allah, Buddha, Marx, Lenin, Künstliche Intelligenz denkt. Erst wenn ein Nicht-Ich, die Gedankenleere in den Spiegel schaut, ist dieser leer. Jetzt sieht das Gewahrsein im Geiste die Leere als Form, die Form als Leere, die Bewegung als „ersten Beweger“. Dieses Nichts ist die „absolute Freiheit“ und zugleich die „absolute Pflicht“ im Lebenleben die Sehnsucht des Lebens nach sich selbst zu realisieren.