Entwurf: Über Nichtidentität und Negative Dialektik

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Bild oben: Ausschnitt aus „ODER“, 03/23, Acryl und Acryllack auf naturbelassener Baumwolle, 170x130cm


 


Für Ewa, die slawische Seele

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Denken wir in Bildern, ist der Gedanke in sich für sich im Offenen gehalten. Dann wahr, gut und schön. Als Teil des Ganzen ist er stets von ihm beeinflusst, inspiriert, bewegt. Ufer und Fluss. Kausalität und Absurdität. Leben und Tod. Alles ist in sich für sich schlicht und einfach offen und weit, denn die Grammatik des Erdachten ist das Bild der Wirklichkeit. Die Wechselseitigkeit von Ursache und Wirkung im Einen. Nichts steht endgültig fest. Das All ist ewig. Auch das nicht? Ewiges Werden! Weg ohne Ziel. Unterschiedliche Geschwindigkeiten. Unterschiedliche Festigkeiten. Stets allgemein und individuell zugleich. Aus Sicht des Lebens ist das der Selbstwert und damit der Sinn, die Selbstentfaltung des Lebens. Schlicht und einfach, offen und weit. Dennoch absurd. Denn der Mensch ist nicht nur fähig, wie das Tier in Gestalten zu denken, er kann die Gestalt auch gestalten, indem er sie durch das Wort reflektiert. So kommt es dass reflektierte Köpfe sagen: Wir denken in Worten und dabei ihr Denken in Bildern vergessen. Weil es so selbstverständlich ist, dass niemand darüber nachdenkt. Denn, wie Kierkegaard uns lehrt wird das Leben vorwärts gelebt, das geschieht in Bildern und rückwärts, in Worten verstanden. So ist die Intuition unser Traum und der Intellekt der Verstand. So sind beide aus einem Guss und doch der Grund für die Konkurrenz im Menschen und des Menschen mit sich in und mit der Welt. Denn der Selbstwert, den die Intuition für sich reklamiert, wird vom Mehrwert, den der Intellekt für sich reklamiert, überschrieben. Sodass der Verstand als Herr über die Intuition als Frau aufsteigt, der Weiße den Schwarzen versklavt, obwohl die Zivilisation lediglich der Diener, ohne das Wilde und Lebendige nichts ist.

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So wurde die Ausbeutung zur Prämisse des modernen Menschen noch bevor er die materiellen Möglichkeiten dazu hatte. Allein dadurch, dass er sich mit sich selbst identifizierte machte er sich die Erde untertan. Zunächst brauchte er dafür Geister und Götter, die ihn legitimierten. Die ihm sagten: „Du musst!“ Schließlich fanden die Geister und Götter ihren Herrn, den Allmächtigen, dass „Ich will!“, das keine Göttinnen neben sich duldet. Als diese Allmacht mit der westlich rationalen Aufklärung schließlich auf den Menschen überging wurde der weiße Mann als „Menschheit“, das sich als „Universalität“ denkende Individuum als „Neuer Mensch“ in einer „Neuen Welt“ geboren. Die kaum hat der Mensch den Zusammenbruch der Diktatur des Proletariats realisiert schon wieder von einer „Neuen Technik“ in einem „Neuen Universum“, von der Virtualität der künstlichen Intelligenz überschrieben wird. Absurd, denn all das ist für das schlicht und einfache Wesen des Menschen komplex und kompliziert und nicht offen und weit. So sind die Intuition und der Intellekt aus einem Guß und doch der Grund für das Gespaltensein des modernen Menschen. Denn die Intuition sieht im Anfang des planetarischen Traums den Sonnenstrahl und der Intellekt macht daraus die Idee eines außerhalb des Alls gestarteten Gottesstrahls. Sodass das Wort (heute die Digitalisierung) über dem Bild, der Mehrwert über dem Selbstwert thront. So ist das moderne Leben schlicht und einfach absurd. Hat mein Denken eine uralte Seele: Die Nichtidentität. Nur indem die Wolke nicht mit sich selbst identifiziert ist, kann sie werden und vergehen. In dem Moment wo auf der Wolke das Auge Gottes oder eine andere Idee und damit Identität erscheint, ist das schlicht und einfach werden und vergehen vorbei. So begann mit dem Kampf um die Herrschaft einer Identität die Selbstzerstörung des Menschen. Denn allein er ist besessen von der Idee der Identität. Alles und alle anderen in diesem Universum sind was und wie sie sind. Schlicht und einfach offen und weit Nichtidentität.

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So stützen sich meine Reflexionen auf das 2400 Jahre alte „Tao“, mit dem im alten China Laotse die Selbstentfaltung des Universums beschrieb, das im „Tun ohne Tun“ das tugendhafte Handeln des Menschen sieht. Das ist nicht die einzige „negative Dialektik“ (Adorno) auf die wir von der „positiven Dialektik“ der rationalen Aufklärung, durch das Denken von Hegel, Kant und Marx geschulten Modernen, zurückschauen. Denn die Alte Welt kannte nur die selbstlose „Nichtidentität“ (Ebenda). Sie konnte in einem Leben, das mit dem Tode rang, das Positive nur im Jenseits des Diesseits erblicken. Doch bereits hier gab es einen gravierenden Unterschied. Im nahen und fernen Osten schaute der Mensch nach innen und entdeckte in sich intrinsisch im Atem das was weder mit den Händen noch in Worten zu fassen ist, das dem fassbaren Körper das Leben schenkt und nimmt. Sodass der Geist in sich im Atem zur Ruhe kommt, egal ob der Mensch arm oder reich, männlich oder weiblich, schön oder häßlich, groß oder klein ist. Während das antike Griechenland wie der Zuschauer in der Arena die Beobachterposition einnahm und das wahrhaft Wahre, Gute und Schöne in der Inszenierung entdeckte. So wird hier die Entdeckung des Absoluten zur „Ex Machina“, zu einer Theatermaschine, die den Gott als einen am Kran hängenden Schauspieler in das Bühnenbild einführt, während es im Osten noch immer in Lieder besungen im Tanz erfahren unfassbar gefunden blieb.

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Einerseits ist Schönheit so der unfassbare Geist, mit dem der Brustkorb sich öffnet oder verschließt. Andererseits wird der gleiche Brustkorb zur Rüstung verschlossen fähig die Welt zu erobern. Einerseits blieb es bei der Nichtidentität aus der alles wahre, gute und schöne, naiv wie der Anfängergeist als unvollkommene Vollkommenheit dauerhaft Glück spendet. Andererseits erhebt das aufgeschriebene Wort das wahr, gut und schön zum absolut Wahren, Guten und Schönen, das Platon als „absolute Seele“ ausgab. So bleibt es spannend, dass zur gleichen Zeit als Laotse in China mit dem „Tao“ die Selbstentfaltung des Universums und dem „Tun ohne Tun“ die Tugendhaftigkeit des Menschen beschrieb, ohne Entdeckungsreisen mit dem Schiff, Flugzeug oder Internet, Sokrates im alten Griechenland von der nonverbalen reinen Vernunft als dem „Nous“ vor dem „Logos“ der praktischen Vernunft sprach. „Was ohne Namen, / Ist Anfang von Himmel und Erde; / Was Namen hat, / Ist Mutter den zehntausend Wesen.“ (Alle Zitate aus Laotses „Tao-Te-King“ hier kursiv). So war für die griechischen Denker der „Nous“ nicht nur wie für Laotse das „Tao“ der natürlichen Intelligenz auch der die Welt erschaffende „Demiurg“. So ist aus Perspektive der Alten mit ihrer negativen Dialektik die positive Dialektik der Moderne nicht nur absurd. Hier ist der tiefere Grund für den „Weltverlust“ (Hannah Arendt), ja für die Weltzerstörung durch das moderne Denken zu finden.

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Umgekehrt aus der Ego-Perspektive der praktischen Vernunft ist das selbstlose „Tao“, das nicht nur mit dem Nous der alten Griechen auch mit dem „Ubuntu“ einer uralten Stammesweisheit aus Südafrika: „Ich bin, weil du bist“ korrespondiert absurd. Denn die Neue Welt beginnt mit einem Donnerschlag weit vor der Entdeckung Amerikas durch die Europäer, der das bildliche Denken in eine monotheistische Ethik verwandeln wird. „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!“ Mit diesen Worten distanziert sich das Alte Testament vom animistischen Denken der Ahnen, in dem der Baum das Tier, der Berg Menschen wahrnehmen und mit ihnen kommunizieren, wie wir es umgekehrt mit ihnen machen. Dieses ganzheitlich horizontale Denken in Kreisläufen ist für die nun beginnende Zivilisation der Schrift, für die linear von der Erde in den Himmel weisende Vertikalspannung „wild“, „primitiv“, „heidnisch“. Deren Köpfe müssen versklavt in Ketten gelegt, gehäutet werden, können nur abstrakt, universalistisch denkend als „zivilisiert“ gelten. Erst wenn sie ihren den Raum erfassenden Traum aufgeben und sich dem Diktat der Zeit unterwerfen, statt den Spuren des Lebens zu folgen, genügen sie den Gesetzen der linearen, abstrakten Schrift. So will es der Fortschritt vom Bild, dem Traum zum Wort der Erkenntnis. Damit das Da-Sein vom Noch-Nicht-Sein, das Vorhandene durch das zu Erschaffende abgelöst werden kann. Hegel wird sagen: „Die Weltgeschichte ist die Zucht von der Unbändigkeit des natürlichen Willens zum Allgemeinen und zur subjektiven Freiheit.“ Nichtwissend, dass die subjektive Freiheit im Stamm größer war als in einer Konsumgesellschaft, weil der Mensch nur seine und keine zur Profitmaximierung ihm eingeredeten Bedürfnisse kannte. Allein der Mensch war an den Stamm gebunden, ohne ihn verloren. Darin bestand der äußere Zwang der ihm, absurd, die Freiheit gab glücklicher zu sein.

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So, mit der Vertreibung Versklavung, Flucht und Wanderung des Menschen über die Kontinente hinweg verlässt die welterschaffende Erzählung des Menschen das an den Ort, an die Natur und den Körper gebundene Symbol und das Gebot des Kommenden „Du sollst“ wird zum Demiurg. Der „Im Anfang war das Wort“ mit dem Alphabet nicht nur eine gesetzmäßige Welt, auch sich selbst als alleinigen Gott erschafft. Sodass das virtuelle Licht des Fortschritts mächtiger erscheint als die Sonne. Allein die von der planetarischen Existenz geprägte und keineswegs an eine himmlische Nicht-Existenz gewöhnte wilde Seele glaubt trotz alledem, trotz Zivilisierung noch immer an sie. Denn genau das den Planeten Erde bewohnen, ohne dabei die Ressourcen von drei Planeten zu verbrauchen, wie es die intelligible, sich von der planetarischen Welt unabhängig glaubende virtuelle Welt der Daten, Wörter und Zahlen macht, ist heute die reinste Vernunft. Während das weiter so der praktischen Vernunft nur digital absurd ist. Denn die Natur braucht den Menschen nicht. Wir brauchen sie. „Wer nicht das Ewige kennt, schafft sinnlos Unheil.“ 

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In der taoistischen Sicht entstehen die Ordnung und der Wandel in der Natur von selbst, weil in ihr die Gegensätze sich anziehen und abstoßen, doch sich nie wie in der rationalen Sicht der Dinge ausschließen. Nur zusammen sind sie das Ganze. Die Soheit. Die Einheit der Gegensätze. Das „Tao“. Sodass der Wahrheitsbegriff der Moderne das Gegenteil besagt. Er benennt nicht mehr das „Es ist, wie es ist“, die Soheit ohne Objektbezug als Wahrheit. Er verwandelt die bedingungslose Liebe in ein Objekt der Begierde, das Wie in ein Was, über das die Rationalität ihr Urteil der Wahrheit fällen kann. Sodass die Unterwerfung der Umwelt für die Neue Welt zur individuellen Freiheit wird, denn die Wahrheit steckt nun nicht mehr in der Tat, sondern im Urteil, das der rationale Mensch über sie fällt. So erhebt sich, indem die Moderne eine Versachlichung und Bewertung der Soheit vornimmt, das Wissen über die Weisheit und damit der Monolog der praktischen Vernunft über den Dialog der reinen Vernunft: „Ich bin, weil du bist“. So vergisst die moderne Wahrheit die Soheit, indem sie die Wirklichkeit nicht mehr als Erfahrung durchschreitet, im Vatikan, Kreml, Silicon Valley oder Shenzhen isoliert zum Ding objektiviert als Realität ins Auge fasst. Siehe die Entstehung der Moderne durch Missionskriege und Kolonialismus, siehe der Klimawandel und das Artensterben durch technischen Fortschritt, siehe den unvorstellbaren Reichtum der Besitzenden durch die Ausbeutung der menschlichen und planetarischen Ressourcen, siehe den Hunger und die Armut der Ausgebeuteten und Abgehängten, siehe das Scheitern des Sozialismus als Diktatur der Nomenklatura einer Partei über das Volk. … „Erkennst du das Da-Sein als einen Gewinn, / Erkenne: Das Nicht-Sein macht brauchbar.“

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Doch was ist das Nicht-Sein, das ein Leben brauchbar macht. Die „negative Dialektik“. Das „Tun ohne Tun“. Indem das Lebende sich selbst den materiellen Körper und ideellen Geist vergisst, beginnt es lebendig und damit mehr zu sein, als es denken und fühlen kann. Denn es handelt nun proaktiv, intuitiv und nicht reflexiv vom Verstand geformt. Nur so, indem das intrinsische Glück als Nicht-Sein sich nie veräußert, nicht ins Da-Sein eintritt, ist es die Freiheit nicht nur im Menschen, in allen Wesen, dem Tier, Baum, der Pflanze, verleiht es ihnen Individualität Respekt und Würde, ohne dafür die Verfassung eines Rechtsstaates zu erschaffen, der sie garantiert doch nicht verwirklichen kann. Denn verwirklichen kann das Nicht-Sein nur das sicher in sich und seiner Umwelt gebundene Wesen, das als Einzahl nicht existiert. Es kann nur wesentlich sein, weil du wer oder was das Du auch ist, bist. Eben das ist die Weisheit der Alten, die der extrinsische rein technische Fortschritt der Moderne mit „Feuer und Schwert“ als „wild“, „primitiv“ und „heidnisch“ ausrotten wollte und noch immer will. Für die Kunst heißt das: Das Bild entsteht nicht durch den Maler. Es entsteht als Traum durch ihn und alle hindurch, die das Bild für sich erträumen. Es entsteht wie die Welt in der wir leben vor dem dritten, dem geistigen Auge, indem Form und Leere, Energie und Sphäre, Sein und Nicht-Sein nicht mehr isoliert voneinander miteinander spielen. Indem vor dem geistigen Auge die Dualität des verstandesgemäßen Denkens und Sehens, das „Teile und herrsche“ dem Sehen des Ganzen, der Einheit der Widersprüche gewichen ist. Sodass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Es ist das alles Erfassende und unteilbare All. „Das wahre Bild ist ohne Form.“ Vor-Bild. Vor-Wort. Vor-Schrift.

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Vorbild, Vorwort und Vorschrift ist dagegen die positive Dialektik, die Kunst der Begriffe. Sie muss es sein, weil in der vom Begreifen getrennten intelligiblen Welt die Einheitlichkeit die Ganzheit ersetzt. So ist die intelligible Welt die heile und heilige Welt, bis sie auf das Nicht-Perfekte, die Wirklichkeit trifft. So entstand die Vertikalspannung, mit der der Logos sich vom Nous, der Begriff sich vom Begreifen trennt und höher, schneller weiter die Welt regiert. Doch ebenso schnell wieder genug ist. Von einer Krise in die nächste gerät. Weil dem Begriff losgelöst vom Begreifen das ewig werden durch das ewige Werden fehlt. So schlussfolgert Camus: „Wenn es das Absurde gibt, dann nur im Universum des Menschen. Sobald dieser Begriff sich in ein Sprungbrett zur Ewigkeit verwandelt, ist er nicht mehr mit der menschlichen Hellsichtigkeit verbunden. Dann ist das Absurde nicht mehr die Evidenz, die der Mensch feststellt, ohne in sie einzuwilligen. Der Kampf ist dann vermieden. Der Mensch integriert das Absurde und läßt damit sein eigentliches Wesen verschwinden, das Gegensatz, Zerrissenheit und Entzweiung ist.“ „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“.

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So stellt allein der Anfängergeist der Intuition, die „negative Dialektik“ im Herantasten und verkörpern des Spontanen die Einheit der Gegensätze und damit die Selbstentfaltung der Existenz wieder her und nicht die falsch verstandene Aufklärung: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (Kant). Gewiss, dieses Denken ist in einem falschen Denken, das von einem Schöpfer statt der Selbstentfaltung der Schöpfung ausgeht, sowie zur Herausbildung einer liberalen Demokratie noch immer das richtige. Doch nicht in einem Denken, das von einem absterbenden Staat durch die Selbstentfaltung des Freien ausgeht. So ist und bleibt die Kommunion des Verstandes mit der Intuition die erste und letzte Philosophie, der Kommunismus. Denn der Verstand und das durch ihn generierte Wissen, ob als digitaler Kapitalismus oder Diktatur des Proletariats, stehen im krassen Gegensatz zum intuitiven Verstehen, das spontan ohne denken der Weisheit folgt. Allein das im Offenen Gehaltene nicht Heilige folgt dem Fluss des Seins und verwandelt das So-Sein vom bloßen Da-Sein zum Frei-Sein. Während die künstliche Intelligenz einer Ideologie oder Technologie nur rückblickend glaubt, ein Ganzes zu sehen. Lediglich hinterher sind sie klüger und sehen vom vorüber Gegangenen nur den Saum. 

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„Die ursprüngliche Feindseligkeit der Welt kommt, durch die Jahrtausende hindurch, wieder auf uns zu. Eine Sekunde verstehen wir die Welt nicht mehr, denn jahrhundertelang haben wir in ihr nur Bilder und Gestalten gesehen, die wir zuvor in sie hineingelegt hatten, und nun fehlen uns die Kräfte, von diesem Kunstgriff Gebrauch zu machen. Die Welt entgleitet uns, da sie wieder sie selbst wird. Die von der Gewohnheit verstellten Kulissen werden wieder, was sie wirklich sind. Sie entfernen sich von uns.“ (Camus). Doch weil wir uns an das absichtslose Tun gewöhnt haben bevor das Denken in Worten uns erreicht hat, bleibt, was immer die Absicht mit dem Menschen und der Welt auch anstellt, die im Offenen gehaltene Lebendigkeit die Freiheit im Menschen. Letztlich die Kraft die auch den Menschen trotz allem von der reinen Vernunft überzeugt. Dazu ist weder ein „Selbstmord der Philosophie“ (Camus) noch der „Übermensch als Selbstüberwinder“ (Nietzsche) notwendig. Diese Denkfiguren tauchen auf, wenn wir vom reinen Geist ausgehen, den es, wenn überhaupt, nur als „Nirvana“ nach dem Tode geben kann, als „Ausstieg aus dem Kreis der Wiedergeburten“, an den der Buddhismus glaubt. Oder als „absolute Idee“, mit der Platon seine intelligible Oberwelt begründet hat, durch die wir wissen, was absolut gut, wahr und schön ist. Bei Kant ist es das über die Moral entscheidende „Gewissen“, das für den Guten immer „schlecht“ ist, besser geht immer und für den Bösen immer „gut“, weil er das Böse bereits ist. Sigmund Freud wird daraus schließlich das „Über-Ich“ formen, mit dem der moderne Mensch nicht mehr glücklich ist, weil du bist. Denn mit dem „Über-Ich“ als „Du“ kann das Ich nur noch Untertan, nicht mehr frei, nur noch befreit nicht mehr glücklich, nur noch zufrieden, nicht mehr schön nur noch unzureichend sein.

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So erreicht die positive Dialektik der Identität in welcher Ausprägung auch immer stets das Gegenteil dessen, was sie verspricht. Gehen wir hingegen von der „negativen Dialektik“ und damit vom „Wunder (aus), dass den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und vor dem Verderben rettet“, ist das dauerhafte Glück „Nichtidentität“ (Adorno), das „Geborensein“ (Hannah Arendt). Und aus dessen Perspektive ist das Leben in der Natur und der vom Menschen erschaffenen Welt ein ewiges Werden, das in seinem absichtslosen Tun schlicht und einfach unvollkommen vollkommen und in der vom Vollkommenen ausgehenden Reflexion absurd ist. Denn am Absurden kommt auch die Perspektive des Geborenseins nicht vorbei. Auch sie entwickelt einen Verstand, dessen Aufgabe darin besteht, richtig und falsch voneinander zu unterscheiden. Und je häufiger und umfassender er das macht, umso weniger weiß er schließlich, was richtig und was falsch ist. So ist das Richtige auf einmal falsch und das Falsche richtig. Absurd. Doch geht der Geist vom Geborensein aus, sucht er kein absolut richtig und falsch mehr gibt es für ihn nicht mehr die eine alles erklärende Wahrheit, sondern Wahrheiten. So kann er seinen Verstand loslassen und erlebt als Intuition, was Hannah Arendt das „Wunder“ nennt, „dass den Lauf der Welt und den Gang menschlicher Dinge immer wieder unterbricht und vor dem Verderben rettet.“

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Kehren wir zu Kierkegaards „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“ zurück, so haben wir bereits das Dilemma, die absurde menschliche Ausgangslage treffend beschrieben. Der Mensch lebt vorwärts intuitiv, denkt in Bildern die er rückwärts übersetzt in Worten versteht, indem er sie reflektiert und wertet. Und am Tage darauf vergisst er das verstandene wieder damit er intuitiv erinnernd schlicht und einfach der Selbstentfaltung der Existenz wieder folgt. Wäre dem so, wäre Sisyphos ein glücklicher Mensch. Mit anderen Worten die Nichtidentität der negativen Dialektik ist und wird so wenig weltumspannende Realität wie es Kants Versuch war eine abstrakte „Universalität“ als Identität zu etablieren. Doch im Gegensatz zur Aufklärung hat sie als Lebenskunst die Chance  mehr zu sein als eine Relativitätstheorie.  …

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„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“

„Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Verstand ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.“
(Albert Einstein)

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